Podiumsdiskussion

Aktuelles, Allgemein

Ein Gastbeitrag von Christina Düring und Thomas Kübler

Zum Abschluss des 88. Deutschen Archivtages fand die mit Spannung erwartete Podiumsdiskussion zum Thema „Transparenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit – die Erforschung der Sicherheitsdienste als Gretchenfrage archivischer Identität“ statt, der noch viele Archivtagsteilnehmerinnen und Archivtagsteilnehmer folgten. Unter der Leitung von Dr. Hans-Christian Herrmann (Saarbrücken) diskutierten Dr. Michael Hollmann (Präsident des Bundesarchivs), Prof. Dr. Frank Überall (Bundesvorsitzender Deutscher Journalistenverband) und Prof. Dr. Constantin Goschler (Ruhr-Universität Bochum).

Die Teilnehmer an der Diskussionsrunde (v.l.n.r.): Prof. Dr. Constantin Goschler, Moderator Dr. Hans-Christian Herrmann, Prof. Dr. Frank Überall und Dr. Michael Hollmann. Foto: VdA

Der vierte Diskutant Lars Rohwer (Mitglied des Sächsischen Landtag und Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses) hatte kurzfristig absagen müssen, was letztlich und zwangsläufig zu einem veränderten inhaltlichen Diskussionsverlauf führen musste, da damit natürlich einer der hauptsächlichen, zeitgenössischen „Registraturbildner von Geheimakten“ fehlte.
Das Kernthema für die Runde war das neue Bundesarchivgesetz. Dieses hatte seit seinem Inkrafttreten für viel Diskussionsstoff gesorgt, stellte es doch einen vermeintlichen massenhaften oder gar vollständigen Verlust von Geheimdienstakten für die Öffentlichkeit dar. Dem widersprach Dr. Michael Hollmann deutlich. Er betonte die schon lange gängige Praxis von Anbietung und Kassation auch vor dem neuen Archivgesetz, mittels einer sogenannten Darstellung „zwingender Gründe“ für die Vernichtung von entstandenen Akten durch die Aktenproduzenten selbst.

Dass die Entscheidung und Darstellung dieser Gründe am Entstehungsort der Akten selbst gefällt wird, schien allen Diskussionsbeteiligten als äußerst kritikwürdig und folglich Grundlage für das spätere Fehlen von Aktenbeständen. Jedoch wurde auch festgestellt, dass viele der vermeintlich „geheimen Aktenbestände“ nur im Augenblick ihrer Entstehung auch als geheimwürdig gelten können, für spätere historische Forschungen oftmals aber keinesfalls diesen Status Quo erfüllen könnten. Vielmals fehle es an einer notwendigen Deklassifizierung der Geheimhaltungsstufen der Akten selbst, nach Abschluss der Sachverhalte, die natürlich zu Beginn selbst zweifellos geheimniswürdig waren. Sowohl Professor Constantin Goschler als auch Professor Frank Überall betonten, dass sich in vielen Aktenbeständen oftmals, fast 80%, sekundäres Material, also keinesfalls geheimniswürdiges befänden, die für die Arsenale der Überlieferung (das sind natürlich WIR – die Archive) überlieferungswürdig seien. Dafür sei eben die fehlende Deklassifizierung oder neue Bewertung der Akten auch schon von Seiten der aktenproduzierenden Stelle notwendig.

Dr. Michael Hollmann erwähnte mehrfach auch die Banalität des Geheimen in den Akten, die für die Historiker, die sowieso alles überliefern wollen, nichts wert sei, für die Verwaltungen bei denen die Akten entstehen, jedoch schon kritisch genug für eine Überlieferung sind (die ihnen später zu Lasten fallen könnten) und für uns Archive, die davon überquellen, am Ende nur durch eine archivwissenschaftliche und historische Bewertung eingestuft werden kann. Professor Constantin Goschler betonte seine Erfahrungen mit dem häufigen Mythos des Geheimen als Inhalt der Akten, die diesem Anspruch der Definition nicht standhielten.

Die gut besuchte Podiumsdiskussion war die Abschlussveranstaltung des 88. Deutschen Archivtages. Foto: VdA

Letztlich bestand bei allen Diskutanten auch die Einigkeit, dass eine völlige Transparenz im Verwaltungshandeln, Geheimdienste und Geheimnisdatenschutz selbst unmöglich machten, somit ein Widerspruch in der Forderung und Praxis deutlich war. Bei höherer Deklaration der Archive in der Verwaltungshierarchie der Gesellschaft, wäre eine bessere Überlieferung und die häufigere Verhinderung der Praxis von Vernichtungswillkür durchaus möglich, was jedoch an den gesellschaftlichen Strukturen aber auch an den Personalressourcen derzeit scheitern muss. Die immer wieder geäußerte Notwendigkeit der Dokumentation von Verwaltungshandeln zu jederzeit und aller Ernsthaftigkeit scheitert oftmals in der Praxis an der Stellung der Archive und ihrer Möglichkeiten ihrer Einforderung der Anbietepflichten.

Dr. Michael Hollmann betonte dazu, dass dies jedoch für das Bundesarchiv eindeutig durch seine exponierte Stellung geregelt sei. Alle waren sich darin einig, dass auch die unterschiedliche Praxis in der Verwaltung der Geheimdienstaktenproduzenten – nämlich die Kommunikation und die Dokumentation ihres Handelns auf unterschiedliche andere, weniger „schwarz auf weiß“ nachvollziehbare Medien zu verlegen, eine Überlieferung sowieso erschwerten und eben gerade dort eine Änderung der Praxis angesetzt werden muss, da sonst weitere Überlieferungslücken vorprogrammiert sind.

In der sich anschließenden Fragerunde spielten unterschiedliche Statements zu den Geheimdiensten eine Rolle, ebenso deren Überlieferung, Fragestellungen jedoch nicht. Dr. Hans-Christian Herrmann schloss mit dem Fazit, die Stellung der Archive in der Hierarchie in der Verwaltung und die Untermauerung ihres Tuns sei die wichtigste Garantie für eine aussagekräftige Überlieferung.

Podiumsdiskussion
Transparenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit – die Erforschung der Sicherheitsdienste als Gretchenfrage archivischer Identität
Leitung: Dr. Hans-Christian Herrmann

Donnerstag, 27. September 15:00 bis 16:30 Uhr
Stadthalle Rostock/ Saal 1

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