Podiumsdiskussion: Nutzung? Aber sicher!

Aktuelles, Allgemein, Nutzung

Ein Gastbeitrag von Dr. Hans-Christian Herrmann

Archive – unverzichtbar und grundlegend für das Recht auf Erinnerung. Die Podiumsdiskussion zum Abschluss des Deutschen Archivtages 2019.

Gut aufgelegte DiskutantInnen bei der Suhler Podiumsdiskussion v.l.n.r.: Sven-Felix Kellerhoff, Dr. Ulrich S. Soénius, Mag.a Susanne Fröhlich und Dr. Clemens Rehm

Der Leiter des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs zu Köln, Ulrich S. Soénius, moderierte die Podiumsdiskussion zum Abschluss des 89. Deutschen Archivtages. Unter dem Motto „Nutzung? Aber sicher!“ diskutierte der Kölner Kollege, bekannt für seinen rheinischen Humor und charmante Provokationen, mit Susanne Fröhlich (Österreichisches Staatsarchiv), Clemens Rehm (Landesarchiv Baden-Württemberg) und dem bekannten Journalisten Sven-Felix Kellerhoff, der für DIE WELT arbeitet. Die Runde widmete sich dabei Fragen der rechtssicheren Nutzung von Archivgut – entsprechend dem Motto des Deutschen Archivtages – packte aber auch Themen wie die Rolle der Archive in der Informationsgesellschaft an. Abschließend diskutierten sie die Frage, wie der/die ideale ArchivarIn des 21. Jahrhunderts aussehe.

Gerade zu diesen spannenden Fragen äußerten sich die ExpertInnen leider eher zurückhaltend. Kellerhoff sieht die Archive als kleinen, aber wertvollen Teil der Informationsgesellschaft; die Wiener Staatsarchivarin Fröhlich betonte die Expertenrolle der Archive und empfahl, den digitalen Transformationsprozess genau zu beobachten. Sowohl Fröhlich als auch Kellerhoff warben im Sinne eines allgemeinen Zugangsrechts zu Archiven für eine gebührenfreie Benutzung, zurückhaltender dazu äußerte sich Rehm. Journalist Kellerhoff wünschte sich ArchivarInnen, die stärker inhaltlich mit ihren Beständen vertraut sind, wobei Susanne Fröhlich beklagte, viele BenutzerInnen reduzierten die Realität auf Online-Informationen: das mache die Beratung schwierig.

Die Podiumsdiskussion war erneut gut besucht

Wie die/der ArchivarIn der Zukunft aussehen könnte, dazu kam wenig, auch weil Archive aus der Perspektive des Journalisten Kellerhoff wohl ihre Arbeit ganz gut zu machen scheinen und sich gegenüber der Öffentlichkeit in den letzten 20 bis 30 Jahren enorm entwickelt hätten. Kellerhoff weiß, wovon er spricht, benutzt er doch seit Jahrzehnten Archive im In- und Ausland, recherchiert umfänglich und publiziert zu vielen historischen Themen – genannt sei etwa seine 2018 publizierte Arbeit „Ein ganz normales Pogrom. November 1938 in einem deutschen Dorf“.

Kellerhoff warb, für viele völlig überraschend, für die „Aura des Originals“ und meinte, Digitalisate seien für eine Tiefenrecherche nicht geeignet. SchülerInnen oder Studierende dürften dies anders sehen, ebenso IT-affine GenealogInnen – und vielleicht nicht nur sie. Der virtuelle Lesesaal solle demnach auch nur als Nutzung zum Einstieg dienen. Gleichwohl sahen alle TeilnehmerInnen die Frage der digitalen Nutzung von Informationen, die nur unter Auflagen und Einschränkungen nutzbar sind, als erforderlich und regelungsbedürftig an.

Lebhafte Diskussion mit Mag.a Susanne Fröhlich und Dr. Clemens Rehm

Rehm appellierte, Archive sollten ihre Benutzung nicht mehr nur mit Besuchertagen und Benutzerzahlen im Lesesaal messen, sondern auch die Intensität der Nutzung von Archivinformationssystemen berücksichtigen. Mit viel Herzblut beschrieb Rehm die Rolle der Archive für die Gegenwart wie auch für das digitale Zeitalter: Archive seien die Institution in unserer Gesellschaft, die das Recht auf Information und die Pflicht zur Erinnerung umsetzen. Da sie Daten übernehmen, die erst Jahrzehnte nach ihrer Entstehung, dafür aber mit all ihren Kontexten benutzbar werden, eröffneten sie der Gesellschaft die Chance, mit einer deutlichen zeitlichen Distanz unaufgeregt Sachverhalte nachzuvollziehen und zu bewerten.
Um diese Rolle glaubwürdig spielen zu können, müssten Archive nach Rehm genauso wie bisher mit den ihnen anvertrauten Daten sorgsam umgehen. Wenn Rehm Recht hat, dann sollte die Demokratie ihre Archive auf breiter Front stärken.

Podiumsdiskussion
Nutzung? Aber sicher!
Leitung: Dr. Ulrich S. Soénius

Donnerstag, 19. September 15:00 bis 16:30 Uhr
Congress Centrum Suhl/ Saal Simson

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